Samstag, 28. Februar 2015

alexanderplatz



Jeder Gang über den Alexanderplatz ist ein Abschiedsbesuch, seit der Wende wird über neue Wolkenkratzer geredet, also vor allem Abriß. Sogar das Haus des Reisens soll ja fallen. Die Dimensionen der Straßen und Gebäude seien unmenschlich, man spüre sibirische Winde pfeifen, die "sozialistische Einschüchterungsarchitektur" muß dringend auf traditionelle Blockrandbebauung umgestellt werden. Die ästhetischen Argumente sind für mich reine Folklore, man könnte ja darüber diskutieren, aber in Wirklichkeit geht es um finanzielle Interessen. Das Haus links im Bild gilt ja der BZ als größter Schandfleck von Berlin. Wenn das so ist, wünsche ich mir mehr Schandflecken, denn natürlich ist es nicht sehr ansehnlich, aber wieviele andere Häuser in Deutschland sind das ebenfalls nicht? Ich habe mich daran gewöhnt, und daß es heute so nicht mehr gebaut würde, macht es für mich interessant. Da es im Osten keine wirkliche Öffentlichkeit gab, haben Gerüchte immer eine große Rolle gespielt, auf diesem Gebiet hatte das Volk Phantasie. Beim Haus links gab es das Gerücht, daß in der einzigen Wohnung mit Fenster Honeckers Tochter wohnte, was natürlich nicht stimmt, da sie ja in der Leipziger Straße wohnte, das Fenster hat rein bautechnische Gründe. Reicht so eine Geschichte, um das Haus unter Denkmalschutz zu stellen? Rechts daneben das ehemalige Presse-Café, heute "Escados". Es hatte einen Wandfries von Willy Neubert, der inzwischen in Thale, wo er vor seiner Zeit als Künstler in den Eisen- und Hüttenwerken gearbeitet hat, wieder geschätzt wird. Ich werde nie verstehen, wie umstandslos man sozialistische Propagandakunst gegen kapitalistische Propagandakunst (Werbung) ersetzt hat. Über ein Bild können sich die Menschen wahnsinnig aufregen ("Dafür hamse Jeld!"), aber daß der gesamte öffentliche Raum von Werbung besetzt ist, gilt als völlig normal. Der Emaille-Fries wurde übrigens nicht abgenommen und ist unter der Verkleidung noch vorhanden. Vielleicht nur eine listige Form von Konservierung.

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