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Freitag, 27. Februar 2015

Joschka aus Schuschenskoje


Im Literaturhaus Rostock hatte ich einmal eine Lesung, leider vor 10 Zuschauern, während der Biergarten draußen voll war. Immerhin durfte ich dadurch das Haus betreten, denn das Literaturhaus Rostock befindet sich im Peter-Weiss-Haus, dem ehemaligen Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Die Wand des holzgetäfelten Büros ziert eine Besonderheit, eine Karte der Sowjetunion, in die alle Errungenschaften eingezeichnet sind, von denen damals immer die Rede war: Baikal-Amur-Magistrale, Olympia-Sportstätten in Moskau, Staudämme, eine Eismeer-Station, Baikonur. Aber auch einen Leninkopf gibt es, dort wo er in der Verbannung war, manche erinnern sich an den Ort: "Schuschenskoje". "In der Verbannung" - "w ssilke", das war eines der Wörter aus dem Schulstoff der Mittelstufe, das sich mir eingeprägt hat, denn es war so sinnlos, so ein ausgefallenes Wort zu lernen, wenn man die einfachsten Begriffe nicht kannte. Die Deutsch-Sowjetische Freundschaft war für mich eine reine Pflichtveranstaltung, ich war nur Mitglied, um mir Ärger vom Leib zu halten, im Ausweis gab es nichtmal ein Foto. Es war mir einfach nicht möglich, mich auf Befehl für die Sowjetunion zu interessieren. Und doch hat die damalige Berieselung dazu geführt, daß ich mich zehn Jahre nach der Wende plötzlich brennend für Rußland interessiert habe, weil ich der Sache auf den Grund gehen wollte, und seitdem war ich immer wieder für Russischkurse dort. Ich frage mich immer, ob wegen oder trotz DDR-Prägung. Ich würde diplomatisch sagen, weil es die DDR nicht mehr gab, konnte die damalige Prägung sich endlich positiv auswirken. Ich sehe das im Nachhinein nämlich als Horizonterweiterung und bin darüber froh. Beim Russischkurs im Haus der russischen Kultur und Wissenschaften in Berlin habe ich meine Lehrerin immer amüsiert, wenn ich meine alten Begriffe und Themen anbrachte. Als das Wort "ssilka" ("ссылка") vorkam, konnte stolz anmerken, daß Lenin "в ссылке в Шушенском" war, in der Verbannung in Schuschenskoje. Die Lehrerin lachte, denn das Wort hat inzwischen eine ganz andere Hauptbedeutung, es heißt nämlich nicht nur "Verbannung", sondern auch "Verweis" und von hier ist es nicht weit zum Neologismus "Link". Es ging gar nicht um Lenins Verbannung, sondern um aktuellen Wortschatz für die Computerbenutzung. Aber jetzt Musik! "Joschka aus Schuschenskoje! Nichts Schönres gab's für ihn/ als auf dem Eis zu laufen mit Schlittschuhn wie Lenin/ mit Schlittschuhn wie Lenin/ der nach des Tages Mühen im Dämmern auf dem Schusch/ dahinglitt, dahinglitt, dahinglitt, husch/ Doch Joschka konnt nicht stehen alleine auf dem Eis/ Da flüstert ihm ins Öhrchen Wladimir Iljitsch leis/ der nach des Tages Mühen im Dämmern auf dem Schusch/ dahinglitt – husch:/ 'Komm, reich mir deine Hände, ich führ dich, bitte sehr/ von rechts nach links und rundum, es ist gar nicht so schwer/ so nach des Tages Mühen im Dämmern auf dem Schusch/ zu gleiten – husch.'" (Worte: Anne Geelhaar, Weise: Siegfried Bimberg)

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