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Donnerstag, 26. Februar 2015

Meine Mutti kauft hier



Eigentlich will ich in Beeskow das ehemalige "Ernst Thälmann"-Hotel finden, das angeblich "ET" genannt wurde, weil es für Normalsterbliche ähnlich unerreichbar war wie dieser Außerirdische (der Film lief ja im Osten im Kino, was im Westen wenige wissen.) Aber mein Begleiter Mawil steuert sofort den Fahrradladen an. Er hat einen Fahrradtick, ist das auch DDR-spezifisch? Wir waren ja als Kinder praktisch verwachsen mit unseren Fahrrädern und haben immer daran rumgebaut. Heute knipse ich manchmal "Fahrradirre", die es in großen Städten gibt, man erkennt sie daran, daß sie ihre Räder mit allen möglichen Extras ausstatten, vorne und hinten große Fahrradtaschen und meistens auch ein Kofferradio am Lenker, das laute Musik spielt. Als Kinder hätten wir das nicht auffällig gefunden, bei uns kam ja auch an den Gepäckträger eine Autoantenne mit Fuchsschwanz und am Rahmen wurde ein Rahmbutterdeckel so befestigt, daß er über die Speichen flatterte wie bei einem Glücksrad, Hauptsache schön laut. Ich gehe ja eigentlich nicht mehr zum Gucken in Geschäfte, weil es doch überall das gleiche gibt, und in der Regel weniger als im Internet, aber hier haben sie noch alte Simsonteile, Lampen und einen Ersatz-Tank, sogar gehäkelte Hauben für Klorollen gibt es aus neuer Produktion. Die Simson-Teilen würden aber auch neu hergestellt, sagt die Besitzerin, wobei die Qualität früher besser gewesen sei. Leider habe ich das Motorrad als Fortbewegungsmittel übersprungen und nutze auch das Auto nur halbherzig, ich steige erst beim Privat-Raumschiff wirklich wieder ein, solange bleibt es beim Fahrrad. Ich freue mich aber, daß man immer noch so viele liebevoll gepflegte Simsons auf den Straßen sieht, manchmal auch eine MZ. Bei langen Fahrten mit der Simson hätten sie den Helm vom Kind hinten mit einer Strippe am Kindersitz festgebunden, sagt die Besitzerin, damit es, wenn es einschlief, nicht nach vorne kippte. Neben dem Eingang finde ich in einem Regalfach, wo in kleinen Orten immer Flyer für Schlagerfeste oder Tourneeaufführungen von "Rentner haben niemals Zeit" mit Herbert Köfer liegen, Einkaufstüten aus grobem, braunem Papier, auf die in der typischen DDR-Kartoffeldrucktechnik "Meine Mutti kauft hier" gedruckt ist. Ein Mädchen mit Petticoat und Schleife im Haar äußert sich so. Die wunderschöne Schreibschrift mit schrägem i-Punkt. Die Besitzerin sagt, daß diese Tüten tatsächlich noch von früher stammen. Seltsam, daß manches an der DDR heute so rührend wirkt. Sie sei auf Papier umgestiegen und biete keine Plastetüten mehr an und nehme auch selbst beim Einkaufen keine mehr. Früher habe man ja auch mit einem Netz oder Beutel auskommen können. "Den Beutel an die Anhängerkupplung, die Butter drin und zu den Tschechen." "Warum denn an die Anhängerkupplung?" "Na, bei 40 Grad, die schmilzt doch sonst."
Ich darf mir ein paar Tüten mitnehmen und habe gleich wieder das Problem, daß sie mir zu schade zum Benutzen sein werden. Wenn sie so lange überlebt haben, wäre es doch anmaßend von mir, sie aufzubrauchen. Wenigstens im Privaten kann man seine denkmalschützerischen Ambitionen ausleben. Ich muß nur berühmt genug werden, daß mein Nachlaß nicht sofort auf dem Müll landet.

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