Eigentlich will ich in
Beeskow das ehemalige "Ernst Thälmann"-Hotel finden, das
angeblich "ET" genannt wurde, weil es für Normalsterbliche
ähnlich unerreichbar war wie dieser Außerirdische (der Film lief ja
im Osten im Kino, was im Westen wenige wissen.) Aber mein Begleiter
Mawil steuert sofort den Fahrradladen an. Er hat einen Fahrradtick,
ist das auch DDR-spezifisch? Wir waren ja als Kinder praktisch
verwachsen mit unseren Fahrrädern und haben immer daran rumgebaut.
Heute knipse ich manchmal "Fahrradirre", die es in großen
Städten gibt, man erkennt sie daran, daß sie ihre Räder mit allen
möglichen Extras ausstatten, vorne und hinten große Fahrradtaschen
und meistens auch ein Kofferradio am Lenker, das laute Musik spielt.
Als Kinder hätten wir das nicht auffällig gefunden, bei uns kam ja
auch an den Gepäckträger eine Autoantenne mit Fuchsschwanz und am
Rahmen wurde ein Rahmbutterdeckel so befestigt, daß er über die
Speichen flatterte wie bei einem Glücksrad, Hauptsache schön laut.
Ich gehe ja eigentlich nicht mehr zum Gucken in Geschäfte, weil es
doch überall das gleiche gibt, und in der Regel weniger als im
Internet, aber hier haben sie noch alte Simsonteile, Lampen und einen
Ersatz-Tank, sogar gehäkelte Hauben für Klorollen gibt es aus neuer
Produktion. Die Simson-Teilen würden aber auch neu hergestellt, sagt
die Besitzerin, wobei die Qualität früher besser gewesen sei.
Leider habe ich das Motorrad als Fortbewegungsmittel übersprungen
und nutze auch das Auto nur halbherzig, ich steige erst beim
Privat-Raumschiff wirklich wieder ein, solange bleibt es beim
Fahrrad. Ich freue mich aber, daß man immer noch so viele liebevoll
gepflegte Simsons auf den Straßen sieht, manchmal auch eine MZ. Bei
langen Fahrten mit der Simson hätten sie den Helm vom Kind hinten
mit einer Strippe am Kindersitz festgebunden, sagt die Besitzerin,
damit es, wenn es einschlief, nicht nach vorne kippte. Neben dem Eingang
finde ich in einem Regalfach, wo in kleinen Orten immer Flyer für
Schlagerfeste oder Tourneeaufführungen von "Rentner haben
niemals Zeit" mit Herbert Köfer liegen, Einkaufstüten aus
grobem, braunem Papier, auf die in der typischen
DDR-Kartoffeldrucktechnik "Meine Mutti kauft hier" gedruckt
ist. Ein Mädchen mit Petticoat und Schleife im Haar äußert sich
so. Die wunderschöne Schreibschrift mit schrägem i-Punkt. Die
Besitzerin sagt, daß diese Tüten tatsächlich noch von früher
stammen. Seltsam, daß manches an der DDR heute so rührend wirkt.
Sie sei auf Papier umgestiegen und biete keine Plastetüten mehr an
und nehme auch selbst beim Einkaufen keine mehr. Früher habe man ja
auch mit einem Netz oder Beutel auskommen können. "Den Beutel
an die Anhängerkupplung, die Butter drin und zu den Tschechen."
"Warum denn an die Anhängerkupplung?" "Na, bei 40
Grad, die schmilzt doch sonst."
Ich darf mir ein paar
Tüten mitnehmen und habe gleich wieder das Problem, daß sie mir zu
schade zum Benutzen sein werden. Wenn sie so lange überlebt haben,
wäre es doch anmaßend von mir, sie aufzubrauchen. Wenigstens im
Privaten kann man seine denkmalschützerischen Ambitionen ausleben.
Ich muß nur berühmt genug werden, daß mein Nachlaß nicht sofort auf dem
Müll landet.
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