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Montag, 16. Februar 2015

Kosmonautenzentrum



Der Sozialismus hat ja die christliche Verheißung durch die Vorstellung von einer gerechten Gesellschaft ersetzt, die es, von den Klassikern wissenschaftlich bewiesen, in der Zukunft geben würde. Im Kosmos konnte man sozusagen schon in der Gegenwart in die Zukunft reisen, Science-Fiction-Literatur war äußerst populär, manchmal versteckten sich in der Beschreibung seltsamer Zustände auf anderen Planeten sogar Ansätze von Gesellschaftskritik. Das überaus präsente Bildprogramm der Kosmonautik hatte den Vorteil maximaler Wissenschaftlichkeit und Technikeuphorie in Verbindung mit quasireligiösen, metaphysischen Inhalten, wie einer extremen Überhöhung des modernen Menschen, vor allem in Gestalt von Gagarin, der als eine Art Ersatz-Jesus bereit war, sein Leben für die Menschheit zu opfern (was er in der Erzählung von seinem Tod dann auch tat). Ich glaube nicht, daß die Kosmonautik in der DDR so populär war wie in der Sowjetunion, aber man war ungeheuer stolz auf den ersten Deutschen im All und auf die Multispektralkamera vom VEB Carl Zeiss Jena, mit der man, gerüchteweise, durch Kleidung gucken konnte. Die Chance, Raumfahrer zu werden, war ja sehr gering, aber darauf einstimmen konnten sich Kinder in Kosmonautenzentren, nach russischem Vorbild. Das im heutigen FEZ heißt inzwischen aus unerfindlichen Gründen "orbitall", das in Chemnitz heißt aber immer noch Kosmonautenzentrum "Sigmund Jähn", es stammt von 1964 und ist als einziges vom Konzept her "von Kindern für Kinder", d.h. die Kinder werden von Kindern angeleitet. Es gibt dort eine rührende Sammlung von selbst gebastelten Raumschiffen (eine Apollo-Sojus-Kopplung!), man muß Reaktionstests bestehen und einen Schleudersitz besteigen, Gerätschaften, die noch von früher stammen und herrlich Patina angesetzt haben. Der Höhepunkt ist die halbstündige Fahrt im Cockpit eines Raumschiffs, das sich, eine Besonderheit, wie mir versichert wurde, als einziges Cockpit eines Kosmonautententrums "direkt unter einer 35 Meter hohen Rakete befindet" (auf der seit der Renovierung nicht mehr "V. Pioniertreffen" steht). Ein Rückstoß-Experiment mit einem "kosmischen" und einem "irdischen" Hammer wird vom Bordingenieur vorgeführt und der Bordarzt mißt den Puls, nachdem man Kniebeugen gemacht hat. Daß der Flug noch von einem Z9001-Heimcomputer gesteuert wird, an dem ich schon in der Schule BASIC gelernt habe, hat mich natürlich gefreut, und die russischen Essentuben mit einem Apfelsinen-Moosbeeren-Getränk und Quark sind sogar noch älter, aber, wie mir die jugendliche Besatzung erläutert hat, die würden ja nicht schlecht. "Wollt ihr denn auch Kosmonauten werden?", habe ich den Bordinarzt gefragt. "Ich könnt mirs vorstellen, wenn mir keine andere Berufswahl zur Verfügung steht." Die Buche rechts vom Zentrum wurde übrigens von Waleri Bykowski und Sigmund Jähn gepflanzt.

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