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Freitag, 20. März 2015

Halle-Neustadt






In Halle-Neustadt suche ich den runden Kindergarten vom Typ "Delta" (1968), wobei Google Earth hilfreich ist. Im Kindergarten mit dem schönen Wellendach sitzt jetzt eine Hauskrankenpflege. Der lange, weiß renovierte Block daneben, der einmal eine Zeit lang der längste Wohnbau der DDR war, dient zumindest in einem Teil für betreutes Wohnen. Die Alterszusammensetzung im Neubaugebiet hat sich, im Vergleich zu meiner Kindheit, offenbar radikal umgekehrt. Eigentlich sind diese Wohngebiete gerade für Kinder ideal, weil es kaum Durchgangsverkehr gibt und man nah bei der Schule wohnt und seine Mitschüler zu Fuß besuchen kann. Es ist auch, dem Vorurteil zum Trotz, viel grüner hier als in der Altstadt, die Natur ist nie wirklich besiegt worden, die Gebäude kommen mir eher wie künstliche Korallenriffe vor, an denen sich Tiere und Vegetation ansiedeln. Das macht für mich auch etwas vom un-urbanen Eindruck dieser Wohnsiedlungen aus, man ist hier auf einem Vorposten im Outback. Als Kind war mir Urbanität egal, es war einfach ein großer Abenteuerspielplatz, Angst hatte ich nur vor älteren Kindern und "Jugendlichen". Damals bevölkerten Kindermassen die Spielplätze, und selbst deren Eltern waren jünger als ich heute. 1970 betrug das Durchschnittsalter in Halle-Neustadt 24 Jahre. Heute stehen in den Kinderwagenräumen der Hochhäuser die Rollatoren. Vieles, was einmal Stil hatte, geht verloren, was in diesen Vierteln besonders fatal ist, weil sie eigentlich nur stilecht funktionieren können, auf eine attraktive Patina des Verfalls kann man nicht setzen. Zwischen den Wohnzeilen gibt es flache Funktionsgebäude, die Gaststätte "Gastronom" ist leider in keinem guten Zustand. Die Kaufhalle gegenüber ist renoviert, Rentner halten sich am Backstand auf und scherzen mit uns. Die Verkäuferin erzählt mir, daß sie hier morgens auf dem Weg zur Arbeit die Hasen sieht. Der Gastronom-Schriftzug läßt noch dieses Optimistisch-Technoide unserer jüngeren Vergangenheit erkennen. Das gilt auch für die Formsteinwände. Besonders bei der auf der Wiese, die geschickt aus einem einzigen Bauteil zusammengesetzt ist, beeindruckt mich die Selbstverständlichkeit, mit der sie hier völlig funktionslos steht, es sei denn, um "den Raum zu strukturieren". Man kann von Glück sagen, daß die Berliner Mauer so brutal-schmucklos errichtet worden ist, wie man sie kennt, und nicht als raffinierte Formsteinwand. Zumindest bei diesem Bauwerk wurde nichts beschönigt.

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