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Montag, 16. März 2015

Zaunkunst früher und heute



Was ist schön? Was ist häßlich? Und ist das Privatsache? Ich will mit meinem Urteil niemanden provozieren, und ich würde gerne mehr als meine subjektive Empfindung als Argumente aufbieten können. Im Bild sieht man zwei fragwürdige Beispiele aus verschiedenen Epochen, welches schneidet besser ab? Im Osten sieht man immer noch überall dieses geometrische Muster, Garagen, Gartenzäune, manchmal auch das einzelne Fenster einer Veranda: immer wieder dieses Trapez und das Sechseck. Wer hat das entworfen? Warum war es in der DDR so verbreitet? Diese Wand zeichnet sich aber zusätzlich dadurch aus, daß die Öffnungen mit mindestens fünf Sorten verschieden geriffeltem Profilglas verschlossen worden sind, einem furchtbaren Material, vor allem die beliebten, falschen Butzenscheiben. Eine sozialistische Kirchenfensterkunst. Für mich hat das aber immer noch Charme, weil man eben nichts anderes hatte damals und sich dieser Heimwerker sichtlich bemüht hat, mit den zugänglichen Materialien eine individuelle Lösung zu finden. Außerdem war es wenigstens ansatzweise Eigenbau und nicht vorgefertigt. Als Abschluß hat er sogar die rechte Reihe Steine quer vermauert. Das wirkt geradezu unschuldig gegen das, was man heute im Baumarkt kaufen kann, wie die andere Wand zeigt, Beton, der gleichzeitig das Profil von Mauersteinen und einen Gartenzaun aus Holz imitiert, mit scheußlichen, historisierenden Schnörkeln. Seit 1909 wurden von Gustav E. Pazaurek im Stuttgarter Landesgewerbemuseum in einer "Abteilung für Geschmacksverirrungen" häßliche Dinge gesammelt und erforscht, zwei der Kriterien waren "Materialvortäuschung" und "falsche Exklusivität", was auf den Betonzaun beides zutrifft. Vielleicht soll er auch nur ein subtiler Schutz gegen Einbrecher sein, weil man einfach nichts besitzen will, was von so einem Zaun geschützt wird? Ich glaube, so einen Gegenstand hätte das Amt für industrielle Formgestaltung in der DDR nicht zugelassen. Früher wurde nämlich von oben gesteuert, was es im Handel gab, die Formenvielfalt wurde bewußt ausgedünnt, was natürlich zutiefst undemokratisch war. Heute kann bei einer unendlichen Auswahl jeder selbst entscheiden, was er haben will. Man muß wohl lernen, sich an den häßlichen Dingen zu freuen, weil sie ein Beleg für unsere Freiheit sind.

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