Das
Schloßpavillon-Café in Wittenberg mit seiner dynamisch-eleganten
Form aus den 60ern (nehme ich an), ein reizvoller Kontrast zu den
Kirchenbauten und alten Fassaden in der Straße. Erinnert mich mit
den großzügigen Fenstern, der sich nach unten verjüngenden Form
und der halbrunden Front entfernt an den Tränenpalast, bei dem die
transparent-optimistische Bauweise im krassen Gegensatz zur Funktion
des Gebäudes stand (was sogar schon als absichtliche Täuschung
interpretiert wurde).
Auf dem Weg zum "Haus der Geschichte"
fällt mein Blick durchs Fenster der Stadtbibliothek, und ich
entdecke einen Keramik-Wandfries, der mich hineinlockt. Ich frage die
Frau von der Information, und sie erlaubt mir, das Bild zu
fotografieren. Von wem das Bild sei? Das weiß sie nicht, aber es war von
Anfang an da, also ca. 1964. Neulich sei schon einer hiergewesen, um
es zu fotografieren, der schrieb eine Arbeit über den Künstler. Ob
sie mir eine Leiter holen solle? Tatsächlich verschwindet sie
irgendwo und kommt mit einer Leiter zurück. Ich nutze die Zeit, um
ein Bild für meinen Dia-Vortrag "Die Lücke zwischen Schmidt
und Schmitt" aufzunehmen, eine in den Regalen von Buchhandlungen
und Bibliotheken sehr häufig zu findende Lücke, die aber nur mir
auffällt. Dann kann ich den Fries fotografieren, er zeigt die
typischen Figuren aus dem Repertoire des sozialistischen Realismus
der Aufbauzeit, Kosmonaut, Schweinepflegerin, Chemiker, Ingenieur,
Schüler, Friedenstaube, Künstler. Trotzdem finde ich ihn freundlich
und individuell ausgeführt. Man kann sich natürlich vorstellen, daß
man damals irgendwann die Nase voll von dieser eingeschränkten
Ikonographie hatte. Zumal es im Vergleich zur Wirklichkeit (in einer
LPG!) reine Märchenmotive waren. Die Kunst sollte ja damals den
idealen sozialistischen Menschen in seiner ausbeutungsfreien und
dadurch auch widerspruchsfreien Umwelt darstellen und den Betrachter
motivieren, diesem Ideal nachzustreben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß an diesen Effekt jemals jemand geglaubt hat. In meiner Erinnerung hat man
diese Bilder einfach ausgeblendet wie heute die Werbung. Trotzdem freue ich mich, daß der Fries von einem früheren Bibliotheksleiter gerettet wurde. Man findet
im Internet schnell Informationen zum Künstler, Karl Kothe aus
Coswig, Arbeiterkind, Kommunist, von den Nazis verfolgt, Soldat,
Kriegsgefangener, Künstler in der DDR, früher Tod. Und vielleicht
war er als SED-Mitglied und Funktionär auch Stalinist und hat
anderen Künstlern geschadet, die eine andere Vorstellung vom
richtigen Weg zum Sozialismus hatten. Vielleicht weiß der Besucher,
der schon vor mir hier war, mehr über den Fall. Wenn ich im Osten die vielen, schönen Tierskulpturen in den Parks und Tierparks sehe, muß ich immer denken, daß das auch eine Form der inneren Emigration war, bei Tieren konnte man nicht viel falsch machen.
Nebenan
im "Haus der Geschichte" gibt es auf mehreren Etagen eines
Wohnhauses nachgestellte Wohnräume aus verschiedenen Jahrzehnten zu
sehen. Ein elektrischer AEG-Kühlschrank aus den 20ern stammt noch
von den früheren Bewohnern, damals hochmodern. Unseren roten
Küchenstuhl sehe ich, der ist bei uns noch in Gebrauch. "Gutes
Gericht frohes Gesicht", steht auf einer Stickereiarbeit. Die
Toiletten eines Kindergartens, der hier auf einer Etage mit
Mietwohnungen untergebracht war. Die berühmten aneinandergereihten
Toilettenschüsseln. Die kleinen Waschbecken ohne Mischbatterie, mit
der noch eingepackten Kinderseife "Riesaer Kinderseife – mild
– sahnig, pflegen" mit einem Waschbären drauf. Eine WM 60
("Wellenradmaschine", Vorläufer der WM 66) mit
Einweckgläsern drin. Damit hat man ja eingeweckt, das sei bei Jauch
mal eine Frage gewesen, sagt meine Führerin. Ich weiß, da wurde von
einem CDU-Politiker die Kanzlerin angerufen, als Joker, ging aber
nicht ran. Die DDR-Gummiindianer seien besser gewesen, sagt sie an
der Spielzeugvitrine, im Westen hatten sie nicht so viele Farben. Im
Wohnzimmer der erste Farbfernseher, ein sowjetischer "Raduga".
Die seien aber zu heiß geworden, da habe es öfter Wohnungsbrände
gegeben. Aber immerhin konnte man, wenn in der Klasse jemand so einen
Fernseher zuhause hatte, überprüfen, ob der rosarote Panther
wirklich rosarot war. Besonders seltsam die Inszenierung des
Schlafzimmers, zwei Schaufensterpuppen, er im gestreiften
Schlafanzug, sie im roten Negligee auf dem Bett. Es gibt auch einen
nachgestellten Konsum mit original gefüllten Gemüsegläsern, z.B.
Bohnen und marinierte Silberzwiebeln Qepujka (von "Agroeksport
Tirana"). Ob die noch schmecken? "Gesund leben – richtig
ernähren", steht über dem Regal, ein ziemlicher Hohn, wenn man
bei "Obst und Gemüse" (bzw. "Matsch und Gammel") fast nie Salat bekam (außer den importierten nach Tschernobyl). Wobei ich
so etwas als Kind nie vermißt habe, mir lag mehr an Sofix Pudding
ohne kochen. Was halten die Angestellten eigentlich von ihrem Museum?
Na, diese 80er-Jahre-Stehlampe mit Fusseln, die stehe noch original
so im Schlafzimmer seiner Eltern, sagt der eine an der Kasse etwas
gequält, vielleicht tragen seine Eltern ja auch noch rotes Negligee und gestreiften Schlafanzug.
In manchen
Städten im Osten hat man den Eindruck, daß es in ganzen
Straßenzügen hauptsächlich A&V's, Antik-Shops und Trödelläden gibt. Auch hier stoße ich gleich in der nächsten Straße auf einen. Ich
sehe eine "Csengös Mozdony"-Blechlok aus Ungarn, die mir
irgendwie bekannt vorkommt. Auf einem Schild im Schaufenster steht:
"Kaufe alles an, was ALT ist, außer Ihre Oma". Ich gehe
dann noch in ein Geschäft für Sämereien, Pflanzenschutzmittel und
"Seilererzeugnisse von einheimischen Erzeugern", das seit
1921 besteht, weil mir die schönen alten Schubladen und Regale
auffallen. Es gibt verschiedenste Rollen mit Schnüren. Wir hatten so
eine Schnurrolle, die, glaube ich, die ganzen DDR-Jahre hielt, weil
sie nur für besondere Bastelarbeiten verwendet wurde. Für normale Zwecke nahmen wir die aufgerollten Schnüre der Westpakete, die wir in der leeren Schachtel einer Weihnachtspyramide sammelten. Ich kaufe
"Wurstfaden", aus der Seilerei Bad Schmiedeberg. Ist der
nach einem Wurstprinzip gezwirbelt? Nein, der dient nur zum Zubinden
von Würsten. Da wird er wohl bei mir ziemlich lange halten. Der
Laden sei von ihrem Großvater gegründet, sagt sie, und war immer
privat, auch in der DDR. Und die Kunden kommen teilweise aus Berlin,
weil ja jedes Bundesland eine eigene Gesetzgebung habe, und in Berlin
sei es strenger mit den Pflanzenschutzmitteln, die holten die sich
dann hier. Die alte Kasse darf ich knipsen, aber es sei schon
vorgekommen, daß sie wer knipste und dann im Internet verkaufen
wollte.
An den Wittenberger Wänden hängen überall Schilder, die
auf berühmte Besucher aus der Vergangenheit hinweisen, Gorki, Peter
der Große, man kann es ja nicht überprüfen. An einer unrenovierten
Tür sehe ich ein altes KWV-Schild.
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