Das
Ortsschild im vogtländischen Morgenröthe-Rautenkranz wirbt schon
mit dem Hinweis "Geburtsort des ersten deutschen
Fliegerkosmonauten". Beim Bäcker gibt es ein "Space-Café".
Vor der Deutschen Raumfahrtausstellung lockt ein Kinderspielplatz mit
einem Space-Shuttle. Daneben steht die von Sigmund Jähn geflogene
Mig 21, die auch erstaunlich klein wirkt für ein Jagdflugzeug, der
Rumpf sieht von hinten aus wie ein Blechfaß. Die sehr schöne
Ausstellung präsentiert gleichberechtigt amerikanische und russische
Raumfahrt, aber mich interessiert die russische mehr, weil es mir
immer noch unbegreiflich ist, wie sie es mit ihrer Auffassung von
Technik in den Weltraum geschafft haben konnten. Russische Geräte
funktionierten zwar unter extremsten Umweltbedingungen, aber um
Präzision ging es ihnen nie. Dafür konnte man unter dem Motor ein
Feuer entzünden, wenn er im Winter nicht ansprang. Die damalige
Generation tröstete sich: wir haben zwar kein Brot, aber wir sind
die ersten im Kosmos. Die rusisschen Materialien sehen immer etwas
roher aus, genau so einen Büchsenöffner benutze ich doch beim Zelten?
Sympathisch
ist mir, daß Gagarin einen richtigen Beruf gelernt hat, bevor er
Kosmonaut wurde, er war diplomierter Gießereitechniker. Die
russische Raumfahrtnahrung sieht nicht anders verpackt aus, als man es
aus den dortigen Lebensmittelgeschäften kannte. Worum es sich
handelte, erschloß sich meistens erst beim Essen, oftmals nicht mal
dann. Eine Tüte mit Zahnpflegeläppchen ist immerhin
liebenswerterweise mit einem Krokodil und einem Spatzen bedruckt, das
erklärt sich von selbst. Man kann aber auch in einer Vitrine einen
westlichen Corny bewundern: "Seit vielen Jahren sind
Müsli-Riegel die ideale Nahrungsergänzung im All". Bei
meinen Rundfahrten mit dem Auto sind sie sogar ein
Hauptnahrungsmittel. Was alles auf Raumfahrttechnik zurückgeht, kann
man hier sehen: Akkuschrauber, Barcode, Knopfzellen, Rauchmelder,
Sekundenkleber, Carbon-Skistöcke, Klettverschluß, was wäre die
Welt ohne diese Dinge? Mir gefällt das Nebeneinander von Mülleimer
in Raketengestalt und Sputnik. Ich finde auch einen alten Bekannten,
die russische Sputnik-Spieluhr, die ich bei Jan Kummer in Chemnitz bewundern durfte, und
die mir bei ebay zu teuer war. Warum hat mir mein russischer
Brieffreund damals nicht so etwas geschickt? Statt einem Dame-Spiel
mit Matroschka-Figuren? Viele Szenen aus dem Raumfahrerleben sind von
Vereinsmitgliedern liebevoll als Modell nachgebaut worden: "Der
erste Mensch in den Weiten des Weltalls", man spürt sofort, wie
einsam er sich gefühlt haben muß. Sigmund Jähns Landung in einer
Landekapsel in der kasachischen Steppe, was hat er danach mit Kreide
an die Kapsel geschrieben? Ich glaube, seinen Namen, "Herzlichen Dank" und auf Russisch etwas über den Frieden?
Das sowjetische Interkosmos-Programm, dem er seinen Raumflug
verdankte, und an dem Raumfahrer der befreundeten Nationen
teilgenommen haben, stellt in Auswahl und Reihenfolge der Flugpartner
eine subtile Hierarchie dar, ein Abbild der damaligen diplomatischen
Interessen der Sowjetunion: Zuerst ein Tscheche und ein Pole, beide
Länder machten notorisch Probleme und brauchten etwas Zuneigung,
dann kam aber schon ein Ostdeutscher, was ziemlich erstaunlich ist,
denn die handzahmen Bulgaren kamen erst danach. Dann ein Ungar, 1956
lag weit zurück und der Kádár-Kommunismus hatte das Land zunächst
einmal ruhiggestellt. Die Länder der Dritten Welt, Vietnamese,
Kubaner, Mongole, erst jetzt ein Rumäne, was für eine Demütigung!
Und schließlich Frankreich, das offenbar für seine Sonderrolle unter den
kapitalistischen Staaten gewürdigt wurde, Indien, Syrien und Afghanistan. Es gibt eine Doku über alle diese
Raumfahrer, in der man sieht, was sie heute machen.
Eine
Sonderausstellung zeigt Raumfahrt im Kinderzimmer, Ernie und Bert in
Skaphandern, für die ich damals hundert russische Plastepuppen
eingetauscht hätte. Im Museumsshop entdecke ich zwischen allerhand
Weltraum-Kitsch Restbestände von originalen DDR-Aufklebern, von
"KOSMOSHELDEN KLASSENBRÜDER" kaufe ich sogar den letzten.
Dann esse ich im "Space-Café" ein Brötchen mit Schnitzel,
der rote Ketchup tropft auf mein Hemd, ein schlechtes Omen? Sie
bieten auch "weltraumtaugliches Vollkornbrot" an, in einer
runden Büchse. Allerdings hält es sich nur noch fünf Monate,
spätestens dann muß ich meinen Raumflug antreten, wenn ich es nicht
umsonst gekauft haben will. Aber wird es dazu je kommen? Früher
erschien mir das Erlernen der russischen Sprache, um die
Bedienungsanleitung des Raumschiffs und die Aufschriften auf den
Knopf- und Schalterleisten zu verstehen, ein größeres Hindernis als
das Gravitationsfeld der Erde. Heute, wo ich nach großen Anstrengungen halbwegs
russisch verstehe, ist es vor allem eine Frage der Zeit, von einer
Woche ohne Termine und anderweitige Verpflichtungen kann ich nur noch träumen.
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