Im
vogtländischen Mödlareuth steht neben dem Parkplatz ein T34, der
"nachweisbar an der Besetzung und Befreiung Sachsens und
Thüringens durch die Rote Armee beteiligt war." 1969
überließ ihn die NVA dem Haus der Jungen Pioniere in Pößneck als
"sichtbares Zeichen der deutsch-sowjetischen Freundschaft".
Eine Frau will ihren Mann vor diesem Hintergrund fotografieren: "Setz
dich mal drauf, wie Münchhausen." Wie Münchhausen? Ach so, die Kanonenkugel ... Er erklärt ihr die Technik,
sie interessiert das kein bißchen. "Sieht aber nicht so gut
verarbeitet aus", sagt sie. "Das ist russisch, das ist aus
einem Stück." Ivan Lokomofeilow fällt mir ein, der eine Lokomotive aus einem Stück gefeilt hat. Er deutet auf den weißen Wachturm: "Die
Dinger haben im Wind geschwankt, wenn de runtergelugt hast, durch die
Schießscharten." Also ein ehemaliger Grenzer, der sich das
nochmal ansehen will.
Der
Ackerboden ist hier voller Schieferstücken. In den kleinen Ortschaften, durch die ich gekommen bin, waren die Häuser auch rundherum mit
grauem Schiefer verkleidet.
Mödlareuth
wurde "Klein Berlin" genannt, weil mitten durch das Dorf
mit 50 Einwohnern die Grenze verlief. Ein Stück von den
Grenzanlagen, die viel mehr waren als eine einfache Mauer, ist noch
erhalten und kann besichtigt werden: Suchscheinwerfer,
Beobachtungsbunker, Hundelaufanlage, Straßensperre "Igel"
und "Jumbo". Das Fachwissen über ihren Aufbau brauche ich zum Glück nicht mehr.
Ich
steige in einen Beobachtungsturm von 1974, man kommt über eine
Metallleiter hoch. Die Hände riechen danach wie von den
Klettergerüsten auf dem Spielplatz. Oben liegt noch das alte
Linoleum. Acht Stunden Wache bis zur Ablösung, ohne Toilette, ob sie
durch die Luken gepinkelt haben? Oder sind sie doch heimlich
runtergestiegen? Wie langsam Zeit vergehen kann, lernt man beim
Wachdienst. Ich habe dabei einmal mit dem Kopf gegen eine Wand
gelehnt zu schlafen versucht, ich glaube, ich bin auch eingeschlafen.
Ich
gerate in eine Führung für Rentner. Wie ist das eigentlich
rechtlich, darf man mit einer Führung mitlaufen, für die man nicht bezahlt
hat? Es kann einem ja nicht verboten werden, sich
gleichzeitig dort aufzuhalten? Ein Mann, der aus einem Nachbarort
stammt, erzählt sehr anschaulich. Ich mache eigentlich nichts
anderes: Nachgeborene oder andere Interessenten für eine symbolische Summe durch mein Leben
führen. Heute gebe es keine Probleme zwischen den Ortsteilen, sagt
er, aber im Osten werde immer noch die OTZ (Ostthüringer Zeitung) gelesen, im
Westteil der Hofer Anzeiger. Beim Telefonieren führt man ein
Ferngespräch. Hier regiert Ramelow, dort Seehofer. Es gibt hier
übrigens ein Funkloch, das Handy geht nicht. Oder haben die Russen
im Wald noch einen Störsender versteckt? Für möglich würde man es
halten. Er stammt aus einem Ort 3 Km weiter und durfte zum ersten Mal
nach der Wende nach Mödlareuth. Seine Oma sagte immer: "Geh
nicht zu nah an die Grenze, nicht daß sie uns umsiedeln!" Es
gab mehrmals Zwangsumsiedlungen, eine dieser Aktionen hieß
"Ungeziefer". Wenn jemand ohne Erben starb, wurde das Haus
abgerissen, es konnte ja als Versteck für Flüchtlinge dienen. Sein
Opa hatte drei Sparbücher, eins für die Beerdigung, eins für den
Hausabriß und eins für Sonstiges.
Seehofer
hat auch einen Gedenkstein für Helmut Kohl gestiftet, ein Betonblock
mit einem Pink-Floydmäßigen Riß. Auf einer Plakette steht: "Dr.Helmut Kohl,
Bundeskanzler 1982-1998. Für seine historischen Verdienste um die
deutsche Einheit in Dankbarkeit, Horst Seehofer Bayerischer
Ministerpräsident". Auch nicht geschmackvoller als die
Bronzeskulptur "Grenzsoldat" von 1967.
Eine
japanisch-indische Schülergruppe überholt uns, der Ort dürfte
inzwischen von seiner Geschichte leben. Ob das immer so schön ist,
jeden Tag diese Reisebusse?
Die
Verwandten konnten damals sehen, ob der andere abends noch fernsah.
Aber sie durften nicht über die Grenze rufen oder winken. Als
Rentner durfte man ja in den Westen, man fuhr dann aus dem einen Teil
Mödlareuths über Plauen und Hof, wo man vielleicht mit dem Auto
abgeholt wurde, und war nach acht Stunden im Ortsteil gegenüber.
Es
gibt eine große Fahrzeugausstellung mit SIL, GAZ, URAL, gigantischen
russischen Militär-LKWs, die teilweise 100 Liter auf 100 Km
verbrauchten. Leider hat mich das bei der Armee überhaupt nicht interessiert, sonst hätte ich mich vielleicht weniger gelangweilt. Und jetzt versuche ich, mir zu merken, in welcher Stadt
die LKW's hergestellt wurden und was die Abkürzungen bedeuten. In
einem Film sieht man, wie 1989 die Mauer geöffnet wird und eine
Schalmeien-Kapelle hindurchmarschiert und dabei spielt: "Ja mir
san mitm Radl da". Es wird angestoßen, die Ostler sind an ihren
russischen Pelzmützen zu erkennen, das ist oft immer noch so.
In
der Ausstellung über die Ungarnflüchtlinge ein Plakat für das
Paneuropäische Picknick am 19.8.89 in Sopron. Ich weiß, daß ein
Bekannter mir damals erzählt hat, daß er dort teilnehmen will. Und wie absurd ich es fand, daß noch jemand Otto von Habsburg heißt. Ich war zu dem Zeitpunkt mit
einer Wandergruppe in den rumänischen Bergen. Wir wußten nichts von der Fluchtwelle, und ich wäre nicht
spontan abgehauen, ich wollte unbedingt zur Rückkehr-von-der-Armee-Party eines Freundes, Ende August in der
Lychener Straße. Ein legendärer Abend, den ich dann verpaßt habe,
weil wir zu langsam gewandert sind.
Am
Dorf-Informationskasten hängt eine Bekanntmachung: "Widerspruch gegen Fortgeltung der Darstellung von Vorhaben, die der
Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dienen, im
gemeindlichen Flächennutzungsplan für die Zwecke der Anschluß-
bzw. Konzentrationswirkung im Sinne des §35 Abs. 3 Satz
Baugesetzbuch". Die Deutschen brauchen keine Grenzanlagen mehr, sie haben ja ihre Sprache. Auf der Ostseite liest man: "Satzung
der Thüringer Tierseuchenkasse über die Erhebung von
Tierseuchenkassenbeiträgen für das Jahr 2015". So sehen
die Themen heute aus. Aus komplizierten psychologischen Gründen
fühle ich mich im Ostteil von Mödlareuth etwas heimischer und esse im
Restaurant "Grenzgänger" Roulade mit Klößen.
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