Im
Januar 1990 wurden wir als wehrdienstleistende
Bereitschaftspolizisten in einem LO aus Magdeburg nach Berlin
gefahren, wo wir unseren Einsatzbefehl erhielten, zwei Wochen lang
die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße zu bewachen, die von der
Bevölkerung am 15.Januar gestürmt worden war. Wir schliefen in
einer Kaserne in Blankenburg, wo schon niemand mehr auf unsere
Kleiderordnung achtete, was eine große Erleichterung war, denn in
Magdeburg hatte sich noch nicht viel verändert. Später wurde
Blankenburg ein Asylbewerberheim und heute stehen die Gebäude leer.
Abends ging es in die Normannenstraße, die Nacht über das Gelände
"bestreifen". Es war kalt, manchmal versteckte ich mich hinter einer Tür, die ich entdeckt hatte, wo ich mich an einen Heizkörper
hocken konnte. Am schlimmsten war aber wieder die Langeweile, deshalb
durchwühlte ich Mülltüten, die tagsüber bei der Räumung von Büros gefüllt worden waren. Vielleicht befanden sie sich in den großen Plattenbauten, die das Gelände zur Straße hin abschlossen, und wo hier und da immer noch Licht brannte. Man wurde immer
schamloser, und am Ende der Nacht waren die Säcke zerfetzt und alles
lag auf dem Boden verteilt. Ich sicherte mir eine Pinnwand, Abzeichen
zu einem Stasi-Jahrestag, der nicht mehr stattfand, Gasmasken, einen
Helm, einen Löffel, in den MFS eingeprägt war. Heimlich lief ich in
den Gebäuden das Labyrinth der langen Flure ab, wo Sperrmüll und
Überreste der Stürmung zu großen Haufen zusammengefegt waren. Die
Wände waren beschriftet mit Stasi-Beschimpfungen, manchmal stand
auch quer über einen Schreibtisch: "Freiheit für meine Akte!"
Ich fand eine komplette Kaufhalle und brach in einen Stasi-Buchladen
ein, wo ich mir eine Reclam-Ausgabe von Rilkes "Malte Laurids
Brigge" klaute. Vielleicht dachte ich auch, ich könnte irgendwo
meine Akte finden. Das ältere Diensthalbjahr blieb solange in der
Pförtnerloge von Mielkes Hauptgebäude, wo wir auf Pritschen
schliefen, und guckte "Ghostbusters", der Film lief damals
auf RTL. In einem alten Telefon-Protokollheft stand etwas von
desertierten Russen mit Kalaschnikow. Eigentlich sollte ich ja eine
Wand zwischen zwei Häusern bewachen, über die man von der
Frankfurter Allee rüberklettern konnte, und die heute verschwunden
ist, der Durchgang steht offen. Ich war viel zu naiv, um mir
vorzustellen, daß mein Wachdienst wirklich einen Zweck haben konnte.
Und
heute befindet sich im Hauptgebäude ein Museum, und ich komme mir
mit meinen Erinnerungen vor wie ein Gespenst. Die Formsteine der
überdachten Zufahrt sind mir damals überhaupt nicht aufgefallen,
Hubert Schiefelbeins X-Element SE1, kurioserweise in vier Lagen
übereinander, obwohl es eigentlich nur 150 cm hoch gestapelt werden
durfte (Quelle: "Kunstvolle Oberflächen des Sozialismus").
Für so etwas hatte ich damals kein Auge, vielleicht war der Anblick
auch zu selbstverständlich. Ich bekomme zur Eintrittskarte einen
FDJ-Aufnäher "Traditionsnamensträger Fritz Schmenkel"
geschenkt, aus alten Beständen. "Schmenkel" hieß auch der
Jugendclub in Baumschulenweg, wo ich AG Geige gesehen habe. Das
Treppenhaus mit rotem Marmor, die schönen Deckenleuchten. Warum
damals eine Etage mit schweren Ketten abgesperrt war, erschließt
sich mir jetzt, es ist der Bürotrakt von Erich Mielke. Was würde
man hier erwarten? Einen Exzess an Machtsymbolik? Jedenfalls keine so
altväterliche, gediegene, ganz und gar nicht bedrückende
Einrichtung. Die Räume sind holzgetäfelt, helles Parkett, elegante,
skandinavisch anmutende, blau bezogene Sessel, so könnte auch ein
westdeutscher Firmensitz aus dieser Zeit aussehen. Das
Schreibtischtelefon mit den vielen Tasten erinnert an die Phantasie,
jeden Winkel seines Imperiums erreichen zu können, um Befehle zu
erteilen und Berichte zur Lage anzufordern. Nebenan die Liege, wo er
Mittagsschlaf gehalten hat. War er eigentlich verheiratet? Ein
Philips-Farbfernseher altert irgendwie schneller als die Möbel. Sind
das im Vorzimmer eigentlich Hellerau-Möbel? Wie gemütlich der
Clubraum mit den Leder-Drehsesseln wirkt, hier konnten die Herren
nach der Besprechung rauchen. Ein Zitat von Wilhelm Pieck an der
Wand: "Nur ein Kämpfer, der innerlich froh ist, der singt
und sich seines Lebens freut, wird in ernster Stunde seine ganze
Kraft zur Verteidigung dieses frohen glücklichen Lebens einsetzen.
Menschen aber, die innerlich verknurrt sind, unzufrieden mit sich und
dem ganzen Leben, haben keinen Mut, ihr eigenes Leben und das ihres
Volkes zu verteidigen." War Mielke "innerlich froh"
oder "verknurrt"? Getrunken und gesungen hat er ja gerne.
Er wirkte nicht sehr intelligent, das hat er sicher mit Brutalität
wettgemacht. Und er war ein Musterdeutscher, auf einer Karteikarte
hat er skizziert, wie er sein Frühstück serviert haben wollte:
Brot, Marmelade, Ei, Serviette, Messer.
Ein
"Dampfentwickler" zum Öffnen von Briefen. Man sah das ja
sehr deutlich, wenn Briefe auffallend ordentlich wiederzugebügelt
waren. Hat mich das als Kind gegruselt? Eigentlich nicht. Ich hatte
Glück und war für die Stasi noch uninteressant, jedenfalls denke
ich das. Man hat sich über die schnurrbärtigen Männer mit Ostjeans
und Beuteln, die unauffällig an den Ecken standen, lustig gemacht.
Andere haben sie so fertiggemacht, daß sie sich aus Verfolgungswahn
die Zähne ziehen ließen, weil sie glaubten, daß dort Sender
eingebaut worden waren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.