Durchs Schaufenster sah ich in eine Schneiderwerkstatt und rätselte, was ich hier sah, und warum mir solche Räume sofort heimatlich vorkamen. Ich hätte hier gerne im Winter am Ofen gesessen, während Maistru Stoică Anzüge weiter oder enger nähte, je nach der Lebensphase des Auftraggebers. In Wirklichkeit wäre es dann wahrscheinlich bitterkalt gewesen, aber sich die Wirklichkeit vorzustellen, war keine Herausforderung. Die Ordnung, die in diesem Raum herrschte, konnte man studieren, aber nicht künstlich erzeugen, sie war in den Jahren entstanden und in jedem Detail steckte etwas von dieser Zeit. Offenbar wurde hier wieder meine Phantasie von nichtenfremdeter Arbeit angeregt. Es war schön, daß in diesem Raum ein Mensch allein am Werk war, allein verantwortlich für sein Produkt. Er betrieb sein Handwerk schon lange, und in solchen Berufen hieß das, daß man im Alter immer besser wurde. Hier wurde hergestellt und verkauft, und dafür war es nicht nötig zu repräsentieren oder dem Kunden entgegen zu kommen. Während in Berlin die Mode-Geschäfte aus dem Boden schossen, über denen in scheinbarer Schlichtheit nur der Vor- und Zuname der Betreiberin stand - Undine Ziesche wollte sich auf diese Weise in die Marke "Undine Ziesche" verwandeln -, hatte Maistru Stoică nicht einmal seinen Vornamen ausgeschrieben.
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