Mittwoch, 4. Februar 2015

Spitzdachwahn


Wirklich überraschend auf meiner Rundreise war für mich einer der skurrilsten Auswüchse von volkstümlicher Architekturkorrektur: das an den Plattenbau nachträglich ranretuschierte Giebeldach. Offenbar steht für viele das Flachdach, das die Nazis als "semitisch" und undeutsch verteufelt haben, emblematisch für das Scheitern sozialistischen Massenwohnbaus. Überall im Land sieht man angemalte Giebel, angeklebte Ziegelattrappen, WBS 70, denen ganze Spitzdach-Skyline-Silhouetten als Camouflage dienen sollen. Das Ergebnis ist von einer niederschmetternden Piefigkeit, vor allem, da ja noch die wärmegedämmten Fassaden, farblich im 90er-Jogginghosen-Look, dazukommen. Beim Gebäude auf dem Bild hat man es minimalinvasiv gelöst und den Fenstern Spitzdach-Augenbrauen angeklebt, um die Wirkung des Baus zu vermenschlichen. Es ist das City Hotel in Magdeburg, das sich, im Widerspruch zu seinem Namen, direkt am Flughafen befindet, versteckt zwischen Autohäusern und Tankstellen. Es war aber sehr angenehm dort, russisches Personal, russische Putzfrauen, russisches Fernsehen in der Lobby und faire Preise. Und auf dem Flughafen steht eine alte Interflug-Tupolew.

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