Donnerstag, 2. April 2015

Dafür sollte man nach Schwedt kommen





Das Schwedter Theater mit seiner braun verspiegelten Fensterfront wird neuerdings von einer dreidimensionalen Illusionsmalerei entwertet, die das Dachgeschoß ziert, eine breite, von Menschen bevölkerte Treppe. Nicht weniger schlimm finde ich aber die an die Fassade geklebten, kursiven Buchstaben "Uckermärkische Bühnen Schwedt", die aussehen, wie mit Word gesetzt und vergrößert. Bei so etwas fängt für mich die Barbarei an, als gäbe es keine talentierten Typographen im Land. Auf dem Vorplatz steht eine Stele mit dem Pablo-Neruda-Zitat: "Erhaben ist des Volkes Triumph. Unter seinem Schritt gewaltigen Sieges die blinde Kartoffel und die himmlische Traube erglänzen auf Erden." Wir ziehen an der Tür vom Theater, sie ist offen. Techniker kommen uns entgegen, wir gucken traurig, das wirkt dann immer so, als hätte man zu tun, tatsächlich spricht uns niemand an, so gelangen wir bis zum Zuschauerraum, in dem wir alleine sind, vermutlich könnten wir hier sogar ein Stück inszenieren ohne aufzufallen. Im oberen Foyer hängen sehr interessante Deckenleuchten, wie aus Ofenrohren gebastelt, in Berlin wäre so ein Ort längst eine "location", hier wird er mit Ostereiern geschmückt. Mein Schwedter Horchposten zieht einen Vorhang zur Seite, dahinter kommt ein meterlanges Wandbild von Roland Paris zum Vorschein, "Triumph des Todes, Triumph des Lebens" von 1977. Der Intendant wäre es wohl gerne losgeworden, aber es paßte nicht durch die Tür, deshalb hat man es verhängt. Der Blick aus dem Fenster auf die Hauptstraße, eine imposante Sichtachse. Die Straße sei so breit, weil die Häuser im Krieg zerstört waren, und es billiger war, die neuen seitlich zu versetzen, statt auf den alten Kellern Fundamente zu errichten. Im Fluchtpunkt der Straße sieht man die Anlagen des PCK Schwedt, genau wie in Eisenhüttenstadt bei der Magistrale und dem Stahlkombinat. Stadt und Fabrik, das eine würde es ohne das andere nicht geben. Für mich war "Schwedt" allerdings immer ein fester Begriff: "Dafür kommst du nach Schwedt", also in den Armeeknast, wenn man z.B. beim Wachdienst seine Waffe verbummelte oder einen Vorgesetzten ohrfeigte. Im Rücken des Theaters beginnt der Nationalpark Unteres Odertal, der den Hintergrund für eine Freilichtbühne bildet. Hier könnte man Hamlet spielen, und Ophelia treibt im echten Fluß davon. Aber erst einmal wird demnächst "Stahlzeit – die spektakulärste Rammstein-Tribute-Show" zu sehen sein, und bald darauf das Orchester Holger Mück "Egerländer Blasmusik aus Leidenschaft".

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