Hinter
Gräfenhainichen sieht man schon aus der Ferne die Bagger von
Ferropolis, das auf einer Halbinsel im Gremminer See liegt, einem Tagebausee. Genauer gesagt sind es
Eimerkettenschwenkbagger, Schaufelradbagger und
Raupensäulenschwenkbagger. Ist das nicht das Faszinierendste, was
männliche Konstrukteurshirne je ersonnen haben? Dagegen ist der
Eiffelturm ein eitler Langweiler, der kann sich ja nicht bewegen und
in die Landschaft fressen. Heute pensionierte DDR-Ingenieure könnten
ihn aber sicher entsprechend umbauen, wenn man sie ließe. Wie konnten diese Schrottberge
überhaupt in Gang gesetzt werden? Mit was für gigantischen
Elektromotoren? Und die Kohle, die damit gefördert wurde, hat mehr
Energie gebracht, als das Fördern gekostet hat? Die einzige
Energiequelle, die die DDR hatte, bis auf importieres Öl und Gas aus
der Sowjetunion, war Braunkohle, die Vorräte der großen Kraftwerke
reichten einen halben Tag, ständig rollten Züge mit neuer Kohle an.
Ein Atomkraftwerk bei Stendal war schon im Bau und wurde durch die
Wende nie fertiggestellt. Unsereiner war natürlich gegen die
Zerstörung der Landschaft und gegen Kernkraft, wollte es aber
trotzdem warm haben.
Auf
einen Bagger kann man hochsteigen, ein langer Rundgang, wieviele
Menschen das hier wohl bedient haben? Man bewegt sich wie auf der
Reling eines Dampfers. Am liebsten würde ich noch nachträglich
meinen Raupensäulenschwenkbaggerführerschein machen. Die
Verbotsschilder und Hinweise auf Elektrokästen "Oelkühlung u.
Oelheizung", mit schön kalligraphierter Schrift, sicher hatte
man hier auch einen eigenen Schriftenmaler im Werk, so etwas gab es
ja früher. Warum hat er das große "Ö" aufgelöst? Eine
typographische Regel?
Die
Bagger dienen ja heute als Kulisse für Rockfestivals, damit man sich bei
der Musik nicht so langweilt. Ich gehe zwar nie zu Festivals, aber es
würde mich interessieren, was Kylie Minogue von diesem Bühnenbild
gehalten hat. Mawil, der 50 Jahre jünger ist als ich und deshalb
noch ausgeht, erzählte mir, daß nach dem Melt jedesmal Anwohner der
umliegenden Ortschaften über die riesige Festivalwiese streifen, wo
die Besucher gezeltet haben und Flaschen einsammeln. Manche ziehen
ihre Beute in einem liegengebliebenen Iglu-Zelt hinter sich her. Er
selbst fand einmal volle Einkaufstüten mit ungeöffnetem Rotwein und
einen neuen Campingkocher.
Die
Gebäude auf dem Gelände schmücken 20 Meter hohe Graffitis mit den
Gesichtern von Bergleuten. In der ehemaligen 30-KV-Station gibt es
eine Ausstellung zur Geschichte des Braunkohletagebaus. Eine
Schautafel der Zentralwerkstatt Gräfenhainichen, einem
Reparaturbetrieb für die Braunkohleindustrie, später Teil des
Kombinats Anlagebau Braunkohle. Auch so ein Betrieb mußte neben den
eigentlichen Aufgaben Konsumgüter produzieren. Eine "Tischleuchte"
aus Blech und Preßglas war das Resultat, sie sieht aus, als könnte
man sie zur Not auch als Toaster benutzen. Fotos von Brigaden,
Gesichter von Menschen, die jeden Tag um 5 Uhr morgens aufgestanden
sind, wenn ich das sehe, fällt es mir immer schwer zu glauben, daß
in der DDR niemand mehr richtig gearbeitet haben soll. Ein Raum mit
der Nachbildung des "eeminterglazialen
Waldelefantenschlachtplatzes aus dem Tagebau Gröbern", ein
Baggerfahrer ist hier 1987 auf die Knochen eines Waldelefanten aus
dem Pleistozän gestoßen. Das hat den Plan bestimmt mächtig
aufgehalten. In der obersten Etage gibt es sogar ein Standesamt, man
kann hier vor der Kulisse einer alten Schaltwarte heiraten, Paare,
die sich beim Melt-Festival kennengelernt haben, tun das gerne, sie
sehen aus, als hätten sie gerne eine Tischleuchte als Hochzeitsgeschenk.
In
einem Verein arbeiten ein ehemaliger Chefkonstrukteur von
Tagebaumaschinen, Schlosser, die auf solchen Ungetümen gearbeitet
haben und Modellbauer an der Rekonstruktion von Modellen der Bagger,
um damit an die Bergbaugeschichte der Region zu erinnern. Die Modelle waren
früher so gut, daß sie halfen, Konstruktionsfehler zu finden und
die Bagger zu verbessern. Mir erscheint es eine hervorragende Idee,
wenn Männer als Pensionäre ihren ehemligen Arbeitsplatz nachbauen,
besser als wenn sie in ihrer Freizeit Falschparker an die Polizei
melden. Die echten Geräte wurden aber auch von Frauen gesteuert, so
war das in der DDR.
Ans
Schwarze Brett der Ausstellung hat jemand Kopien von kuriosen
Fundstücken aus DDR-Zeitungen geheftet. Eine Anzeige: "Karena –
Fruchtsaftgetränk Orange mit Grapefruitgeschmack".
Wahrscheinlich in Wirklichkeit weder noch. "Delikateß-Gewürgzurken".
Das scheint mir ein perfekter Überbegriff für die hier versammelten
Tagebaumaschinen zu sein. Ich sehe es vor mir, wie sich die fünf
riesigen Gewürgzurken mit ohrenbetäubendem Knirschen und Scheppern
unaufhaltsam Meter für Meter in die Landschaft fressen und ihr die
Braunkohle entreißen.
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