Sonntag, 5. April 2015

Kosmoshelden - Klassenbrüder














Das Ortsschild im vogtländischen Morgenröthe-Rautenkranz wirbt schon mit dem Hinweis "Geburtsort des ersten deutschen Fliegerkosmonauten". Beim Bäcker gibt es ein "Space-Café". Vor der Deutschen Raumfahrtausstellung lockt ein Kinderspielplatz mit einem Space-Shuttle. Daneben steht die von Sigmund Jähn geflogene Mig 21, die auch erstaunlich klein wirkt für ein Jagdflugzeug, der Rumpf sieht von hinten aus wie ein Blechfaß. Die sehr schöne Ausstellung präsentiert gleichberechtigt amerikanische und russische Raumfahrt, aber mich interessiert die russische mehr, weil es mir immer noch unbegreiflich ist, wie sie es mit ihrer Auffassung von Technik in den Weltraum geschafft haben konnten. Russische Geräte funktionierten zwar unter extremsten Umweltbedingungen, aber um Präzision ging es ihnen nie. Dafür konnte man unter dem Motor ein Feuer entzünden, wenn er im Winter nicht ansprang. Die damalige Generation tröstete sich: wir haben zwar kein Brot, aber wir sind die ersten im Kosmos. Die rusisschen Materialien sehen immer etwas roher aus, genau so einen Büchsenöffner benutze ich doch beim Zelten?
Sympathisch ist mir, daß Gagarin einen richtigen Beruf gelernt hat, bevor er Kosmonaut wurde, er war diplomierter Gießereitechniker. Die russische Raumfahrtnahrung sieht nicht anders verpackt aus, als man es aus den dortigen Lebensmittelgeschäften kannte. Worum es sich handelte, erschloß sich meistens erst beim Essen, oftmals nicht mal dann. Eine Tüte mit Zahnpflegeläppchen ist immerhin liebenswerterweise mit einem Krokodil und einem Spatzen bedruckt, das erklärt sich von selbst. Man kann aber auch in einer Vitrine einen westlichen Corny bewundern: "Seit vielen Jahren sind Müsli-Riegel die ideale Nahrungsergänzung im All". Bei meinen Rundfahrten mit dem Auto sind sie sogar ein Hauptnahrungsmittel. Was alles auf Raumfahrttechnik zurückgeht, kann man hier sehen: Akkuschrauber, Barcode, Knopfzellen, Rauchmelder, Sekundenkleber, Carbon-Skistöcke, Klettverschluß, was wäre die Welt ohne diese Dinge? Mir gefällt das Nebeneinander von Mülleimer in Raketengestalt und Sputnik. Ich finde auch einen alten Bekannten, die russische Sputnik-Spieluhr, die ich bei Jan Kummer in Chemnitz bewundern durfte, und die mir bei ebay zu teuer war. Warum hat mir mein russischer Brieffreund damals nicht so etwas geschickt? Statt einem Dame-Spiel mit Matroschka-Figuren? Viele Szenen aus dem Raumfahrerleben sind von Vereinsmitgliedern liebevoll als Modell nachgebaut worden: "Der erste Mensch in den Weiten des Weltalls", man spürt sofort, wie einsam er sich gefühlt haben muß. Sigmund Jähns Landung in einer Landekapsel in der kasachischen Steppe, was hat er danach mit Kreide an die Kapsel geschrieben? Ich glaube, seinen Namen, "Herzlichen Dank" und auf Russisch etwas über den Frieden? Das sowjetische Interkosmos-Programm, dem er seinen Raumflug verdankte, und an dem Raumfahrer der befreundeten Nationen teilgenommen haben, stellt in Auswahl und Reihenfolge der Flugpartner eine subtile Hierarchie dar, ein Abbild der damaligen diplomatischen Interessen der Sowjetunion: Zuerst ein Tscheche und ein Pole, beide Länder machten notorisch Probleme und brauchten etwas Zuneigung, dann kam aber schon ein Ostdeutscher, was ziemlich erstaunlich ist, denn die handzahmen Bulgaren kamen erst danach. Dann ein Ungar, 1956 lag weit zurück und der Kádár-Kommunismus hatte das Land zunächst einmal ruhiggestellt. Die Länder der Dritten Welt, Vietnamese, Kubaner, Mongole, erst jetzt ein Rumäne, was für eine Demütigung! Und schließlich Frankreich, das offenbar für seine Sonderrolle unter den kapitalistischen Staaten gewürdigt wurde, Indien, Syrien und Afghanistan. Es gibt eine Doku über alle diese Raumfahrer, in der man sieht, was sie heute machen.
Eine Sonderausstellung zeigt Raumfahrt im Kinderzimmer, Ernie und Bert in Skaphandern, für die ich damals hundert russische Plastepuppen eingetauscht hätte. Im Museumsshop entdecke ich zwischen allerhand Weltraum-Kitsch Restbestände von originalen DDR-Aufklebern, von "KOSMOSHELDEN KLASSENBRÜDER" kaufe ich sogar den letzten. Dann esse ich im "Space-Café" ein Brötchen mit Schnitzel, der rote Ketchup tropft auf mein Hemd, ein schlechtes Omen? Sie bieten auch "weltraumtaugliches Vollkornbrot" an, in einer runden Büchse. Allerdings hält es sich nur noch fünf Monate, spätestens dann muß ich meinen Raumflug antreten, wenn ich es nicht umsonst gekauft haben will. Aber wird es dazu je kommen? Früher erschien mir das Erlernen der russischen Sprache, um die Bedienungsanleitung des Raumschiffs und die Aufschriften auf den Knopf- und Schalterleisten zu verstehen, ein größeres Hindernis als das Gravitationsfeld der Erde. Heute, wo ich nach großen Anstrengungen halbwegs russisch verstehe, ist es vor allem eine Frage der Zeit, von einer Woche ohne Termine und anderweitige Verpflichtungen kann ich nur noch träumen.

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